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Digitale Notaufnahmen gefördert durch das KHZG

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Mit dem Krankenhauszukunftsfonds schafft die Bundesregierung ein finanzielles Förderinstrument, um die Digitalisierung der Krankenhäuser – und so auch der Notaufnahmen – voranzutreiben. Verantwortliche in Kliniken und Fachverbänden sehen jedoch noch Optimierungsbedarf.

Die Zielrichtung des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) scheint klar: Förderfähige Projekte sind beispielsweise Maßnahmen zu Behandlungsdokumentation, Medikationsmanagement, Betten- und Ressourcenplanung sowie sektorenübergreifende Telemedizin. Ein großer Batzen des Geldes von mindestens 15 Prozent soll in die IT-Sicherheit fließen. Denn der Schutz der sensiblen Patientendaten sowie der digitalen Infrastruktur ist essenziell.

Ein besonders wichtiger Punkt ist die Digitalisierung der Notaufnahmen, sind sie doch die Eintrittspforte der Patientinnen und Patienten in die klinische Behandlung. Dort werden entscheidende Fragen beantwortet: Ist eine stationäre Aufnahme nötig, oder reicht eine ambulante Behandlung aus? Muss ein Facharzt oder eine Fachärztin hinzugezogen werden? Ist ein Platz im Schockraum oder auf der Intensivstation nötig?

Die Herausforderungen an das Datenmanagement sind in den vergangenen Jahren immens gewachsen. „Die Notaufnahmen sehen sich steigenden Patientenzahlen, gesetzlichen Anforderungen etwa zur rechtssicheren Dokumentation sowie technischen und informationstechnischen Entwicklungen ausgesetzt“, schreibt Dr. Kerstin Kunz, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme des St. Elisabethen-Klinikums in Ravensburg, auf kma-Anfrage. Diese Daten wollen verarbeitet und kanalisiert werden; und gerade in Notaufnahmen drängt etwa bei lebensbedrohlich Erkrankten und Schwerverletzten die Zeit. Kunz kritisiert deshalb: „Obgleich die Notaufnahmen zentraler Dreh- und Angelpunkt einer Klinik sind, ist der Fördertatbestand 1, welcher im KHZG die Notaufnahme abbildet, im Gegensatz zu anderen Fördertatbeständen kein Muss.“

Eigeninitiative der Kliniken gefragt

Trotzdem haben sich Krankenhäuser wie das St. Elisabethen-Klinikum auch schon vor dem „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ zusätzlich zum bereits bestehenden Krankenhausinformationssystem (KIS) um die digitale Aufrüstung in der Notaufnahme und verbesserte Vernetzung mit etwa Rettungsdiensten bemüht. Bislang werden vielerorts Daten weiterhin mit Papier und Stift oder auch telefonisch und über Funk zwischen Rettungswagen und Notaufnahmen ausgetauscht. Das birgt die Gefahr von Übermittlungsfehlern oder sogar Datenverlust. Aber selbst wenn auf beiden Seiten digitale Datenerfassungssysteme existieren, sind die Schnittstellen Hersteller-bedingt nicht immer kompatibel.

Wenngleich nach Einschätzung von Jürgen Flemming, Pressereferent des Bundesverbands der Krankenhaus-IT-Leiterinnen/Leiter (KH-IT, Baden-Baden), die Digitalisierung von Notaufnahmen in den letzten 15 Jahren eher langsam verlief, sieht er durchaus Fortschritte, vor allem bei der Anbindung der Rettungsdienste: „Im Wesentlichen geht es hier um die Erfassung und Übermittlung der Stammdaten sowie der Vital- und diagnostischen Daten bereits aus dem Rettungswagen an die aufnehmende Klinik, um dort für eine bestmögliche Vorbereitung zu sorgen.“ Zahlreiche Rettungsdienste und Kliniken beziehungsweise Träger hätten hier bereits für eigene Lösungen gesorgt. Ziel sei es, diese Daten im optimalen Fall nahtlos in eine elektronische Patientenakte (ePA) zu übertragen.

Beispiel Schwarzwald-Baar Klinikum

Ein Beispiel ist das Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen-Schwenningen. Gefragt war hier eine Menge Eigeninitiative, erinnert sich Professor Bernhard Kumle, Ärztlicher Direktor der Klinik für Akut- und Notfallmedizin: „Wir haben gemeinsam mit den Rettungsdiensten in unserem Kreis, dem Zentrum für Telemedizin und unserem KIS-Hersteller ein System erarbeitet, das es ermöglicht, dass wir alle untereinander Daten austauschen können.“ Dafür mussten Schnittstellen angepasst und Softwaresysteme ersetzt werden, erklärt der Facharzt für Anästhesiologie und Intensiv- und Notfallmedizin. Aber jetzt klappt er, der automatisierte Datenaustausch. Damit leistet die Baden-Württemberger Klinik Pionierarbeit.

Inzwischen werden aus dem Rettungswagen automatisch Patientendaten an das Klinik-eigene KIS übertragen: Vitalwerte, Anamnese, Elektrokardiogramm, eventuell eine erste Verdachtsdiagnose. Kumle erläutert: „Wenn wir wissen, dass ein Mensch mit einem Herzinfarkt zu uns unterwegs ist, können wir den Weg des Patienten in der Notaufnahme und darüber hinaus bereits vorbereiten.“ Bei einem Schwerverletzten könnten zudem Fotos der Unfallstelle helfen, die Art und Schwere des Traumas einzuschätzen. Oder – was gerade aktuell wichtig ist: Auch der Infektionsstatus kann übertragen werden. All diese Daten sind bereits verfügbar, bevor die Patientin oder der Patient die Notaufnahme erreicht.

Digitalisierung erfordert Innovation

Mit dem KHZG sollen nun auch weitere Kliniken die Digitalisierung ihrer Notaufnahmen vorantreiben. „Dass im Rahmen des KHZG vom Bundesgesundheitsministerium und den Ländern für die Digitalisierung der Krankenhäuser eine Förderung in nicht gerade geringem Umfang zur Verfügung gestellt wird, ist absolut begrüßenswert“, sagt Professor Gernot Marx, Ärztlicher Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care des Aachener Universitätsklinikums. Seit Januar ist er zudem Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). „Aber Geld allein reicht in der Regel nicht, um innovative Strukturen anzustoßen“, schränkt er ein. Digitalisierung müsse immer auch bedeuten, neue Wege zu gehen.

KH-IT-Pressereferent Flemming bringt es auf den Punkt: „Ein schlechter analoger Prozess ist nach der Digitalisierung nur ein schlechter digitaler Prozess.“ Deshalb müsse das KHZG mehr sein als ein reines Förderinstrument, ist Marx überzeugt. Hier seien nicht nur die Kliniken und Träger gefragt, sondern auch die Fachgesellschaften und politisch Verantwortlichen. Er fordert klare Zieldefinitionen, also eine definierte Marschrichtung, die aktuell noch fehle.

Wie genau die aussehen soll, darüber sind sich auch die Experten nicht unbedingt einig. Aktuell etwa fehlen bundesweite Standards für die Kopplung unterschiedlicher digitaler Systeme, jedes Bundesland setzt Reformen und Projekte selbstständig um. Bernhard Kumle spricht sich für eine Vereinheitlichung aus: „Gegebenenfalls müssten Software- und KIS-Hersteller dazu verpflichtet werden.“ DIVI-Präsident Marx hingegen sieht den Föderalismus auch als Chance, als eine Art Katalysator. Denn so ließen sich besonders mutige Entwicklungen als Vorbild-Projekte in andere Bundesländer tragen. Eine zentrale Entscheidungsstruktur sei möglicherweise deutlich langsamer.

Auch ein Blick in die Zukunft stimmt Kumle nachdenklich. Mit den Geldern aus dem Fonds könnten nun Geräte und Software angeschafft werden. Aber was ist nach dem Ende der Förderung? „Wir rechnen mit etwa 20 Prozent der Anschaffungskosten, die wir jährlich in die Wartung dieser Systeme investieren müssen“, sagt er. Software-Updates, der Austausch von veralteter Hardware nach einigen Jahren – die Folgekosten einer Digitalisierung seien immens. Kumles Fazit zum KHZG ist deshalb: „Es ist gut, dass es das gibt. Aber es muss auch klar sein, wie es danach weitergehen soll.“ Da bestehe noch Nachbesserungsbedarf.

KHZG: Chance – mit Einschränkungen

Nicht zu vergessen ist zudem, dass eine digitale Infrastruktur stets betreut werden muss. Für den Fall der Fälle sollte außerdem ein praktikables Ausfallkonzept vorliegen. Dafür braucht es Personal. Durch den KHZF können solche Stellen explizit mitfinanziert werden, aber auch hier nur bis zum Ende der Förderdauer von aktuell drei Jahren. Trotzdem hat etwa das Schwarzwald-Baar Klinikum zusätzliches Personal eingestellt. Das sorgt sich nun nicht nur um Rechner und Software, sondern schult auch die Klinikbeschäftigten im Umgang mit den neuen Systemen – eine zeit- und kostenintensive Aufgabe. Denn derartige Schulungen sind nicht im normalen Alltagsbetrieb machbar, die Beschäftigten müssen für diese Zeit von ihrer Arbeit freigestellt werden.

Trotz der Einschränkungen und der hier und da geäußerten Kritik sehen alle Gesprächspartner das KHZG dennoch als Chance, als richtigen und wichtigen Schritt in eine digitale Zukunft der Kliniken. Es könne vielen Digitalisierungs-Bemühungen – auch in den Notaufnahmen – einen entscheidenden Schub verpassen. Routineaufgaben ließen sich automatisieren, komplexe Aufgaben vereinfachen, ist etwa Jürgen Flemming überzeugt. Eine durchgehend elektronische Dokumentation minimiere etwa die Gefahr von Übertragungsfehlern und erleichtere die Auswertbarkeit von standardisiert gewonnenen Daten.

Vor allem aber soll die Digitalisierung die Arbeit erleichtern sowie Arbeitsbedingungen optimieren. „Gerade die Akutmedizin in den Notaufnahmen braucht immer auch engagierte Pflegende, die sich um kranke Menschen mit all ihren Sorgen und Nöten kümmern“, fasst DIVI-Präsident Marx zusammen. Die sollen und können auch gar nicht durch eine digitale Infrastruktur ersetzt werden. Aber automatisierte Dokumentationsprozesse und eine reibungslose Kommunikation zwischen allen Beteiligten – Rettungsdiensten, Notaufnahmen und Klinik-Stationen – schaffen im optimalen Fall mehr Zeit und Raum für eine optimale Betreuung der Patientinnen und Patienten.

Quelle: Sigrid März | © 2021. Thieme. All rights reserved.